1930 er

Verschärfung der Situation von Homosexuellen

Die Gesellschaft ändert sich - die Ausgrenzung und Verfolgung von Minderheiten beginnt.

Die in der Weimarer Republik aufgebauten Freiräume für Lesben und Schwule waren nach der Machtübernahme der NSDAP im Januar 1933 sehr schnell zerstört. Die Entwicklung in der Reichshauptstadt Berlin als Hauptsitz aller bedeutsamen Homosexuellen Vereinigungen mit Hausdurchsuchungen bei und Verhaftungen von Homosexuellenaktivisten sowie das Verbot aller in Berlin erscheinenden Zeitschriften der Homosexuellen Bewegung der Weimarer Republik hatte negative Auswirkungen auf die Stuttgarter Subkultur. Wie die Orte des homosexuellen Vergnügens und die homosexuellen Vereine in Stuttgart mehr oder minder verschwanden, ist nicht überliefert.

Der neue § 175 a

Ergänzend kam § 175 a “Schwere Unzucht” hinzu, worunter Fallgestaltungen fielen, die mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren geahndet wurden. Die am häufigsten in der NS- und in der Nachkriegszeit zur Anwendung gelangte Ziffer 3 beinhaltete die Verführung einer männlichen Person unter 21 Jahren “zur Unzucht” durch eine Person über 21 Jahren.

Paul Emil Friedrich Mußgay Kriminalrat, SS-Obersturmbannführer und Leiter der Staatspolizeileitstelle StuttgartText

Tarnung – Verleugnung – Anpassung

Zahlreiche homosexuelle Frauen wie Männer zogen sich ins Privatleben zurück und gingen in ständiger Angst vor Diskriminierung und Denunziation Scheinehen ein.

Auf einer Arbeitstagung in Berlin 1937 lernten auch die Stuttgarter Polizisten von Kripo und Staatspolizeistellen, wie Homosexuellen aufzuspüren waren: „Der Polizeibeamte, der die Homosexualität mit Erfolg bekämpfen will, muß hellhörig werden und verdächtige Äußerungen der Volksgenossen über vermutlich anormale Männer in geeigneter Weise auf ihre Richtigkeit nachprüfen“. Als „geeignete Auskunftspersonen“ wurden Hotelpförtner, die Gepäckträger auf den Bahnhöfen, die Kraftdroschkenführer, die Aufwartemänner in den Bedürfnisanstalten, die Friseure sowie Badewärter empfohlen.

Aus Protokollen Stuttgarter Polizeivernehmungen im Juli 1933
Meinen ersten normalen Geschlechtsverkehr hatte ich im Frühjahr 1929 mit einer Sängerin am Landestheater, die ich sehr liebte. Bis zu diesem Zeitpunkt und auch seither habe ich meine geschlechtliche Befriedigung z. T. darin gefunden, dass ich mit einer Anzahl gleichaltriger Männer gegenseitig onanierte.... Ich unterhalte übrigens seit neuerer Zeit ein wirkliches Liebesverhältnis zu einer Frau, die ich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch liebe, sodass ich die Hoffnung haben darf, dass nunmehr meine bisexuelle Veranlagung zurückgedämmt ist. Diese Hoffnung habe ich um so mehr, als ich auch den ernsten Willen habe, meine Abnormität zu bekämpfe. Ich will jetzt ein gesunder Mensch werden. Aus der Vernehmung von Walter L., geb. 1907, durch das Polizeipräsidium Stuttgart im Juli 1933 
Der Grund, warum seit dem letzten Vorfall (homosexuelle Handlung ist hier gemeint, Anm. d. A.) zwischen Ostern und Pfingsten 1933 nicht die Vorfälle wiederholt haben ist der, dass ich um diese Zeit die Bekanntschaft mit einem Mädchen in Birkach gemacht habe. Ich möchte bitten, dass mir unterlassen bleibt, den Namen des Mädchens zu nennen. Zwischen dem Mädchen und mir hat sich ein mit Geschlechtsverkehr verbundenes Liebesverhältnis entwickelt und dies ist der Grund, warum ich mich von W. zurückgezogen habe... Ich bin geschlechtlich durchaus normal veranlagt und bin zu Handlungen mit W. einzig und allein von diesem veranlasst worden... Ich war mir selbstverständlich klar darüber, das, was ich mit W. getan habe, an sich eine Schweinerei ist. Ich konnte aber dem Drängen von W. nicht widerstehen, denn er ist ja der wesentlich Ältere von uns beiden, hat mir viel Gutes getan, allerdings in anderer Beziehung einen guten Einfluss auf mich ausgeübt. Aus der Vernehmung von Otto M., geb. 1914, durch das Polizeipräsidium Stuttgart im Juli 1933.
Bis zum Jahre 1928 habe ich von gleichgeschlechtlichen Regungen an mir nichts verspürt. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Reihe von Damen intime Beziehungen unterhalten und hatte hierbei stets meine volle Befriedigung gefunden... Ich habe zu dieser meiner anormalen Veranlagung der letzten Jahre jedoch anzugeben, dass ich in der letzten Zeit den festen Willen hatte, mich wieder in ein normales Geschlechtsleben zurückzufinden... Ich hatte auch in den letzten Wochen Verbindungen mit der Schauspielerin Anni W. am Stadttheater Freiburg angeknüpft. Mit dieser Anni W. wollte ich eine Ferienreise unternehmen bei der ich mich dann wieder wohl bestimmt in normale Geschlechtsverhältnisse zurückgefunden hätte. Aus der Vernehmung von Ernst W. geb. 1893, durch das Polizeipräsidium Stuttgart im Juli 1933.

Vom Pissoir zum 
Hot-Spot lauer Sommernächte

Treffpunkt von Homosexuellen
Ein Ort mit wechselvoller Geschichte ist die Ecke Bolzstraße/Lautenschlagerstraße. Gerücht oder Wahrheit? Adolf Hitler, so erzählt man sich, habe bei seinem Stuttgart-Besuch in den 1930ern, als die Häuser der Lautenschlagerstraße mit Nazi-Fahnen vollhingen, plötzlich ein Bedürfnis verspürt. Auf dem Weg zu einer Veranstaltung soll er in den heutigen Palast der Republik gegangen sein, um das Pissoir im Keller aufzusuchen. Für Eingeweihte ist es deshalb das „braune Klo“. Der Legende nach führt ein unterirdischer Gang ins Nachbarhaus. 
In dunklen Zeiten, als gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe stand, diente die Toilette als „Klappe“ zur Kontaktaufnahme von Schwulen. Auch nach dem Krieg mussten die Männer auf der Hut sein. Immer wieder mischten sich Polizisten in Zivil unter die Suchenden, denen eine Strafanzeige drohte. Die Zeiten haben sich zum Glück geändert. Am Palast der Republik, der täglich bis 3 oder 4 Uhr in der Frühe geöffnet hat, zeigt sich auf faszinierende Weise, wie jung, bunt und quicklebendig Stuttgart ist. 

Quelle: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-album-zum-palast-der-republik-vom-pissoir-zum-hot-spot-der-sommernacht.a5bea06e-9ac4-4e27-9895-d893f458eb32.html


§ 175 StGB - Fortsetzung der Verfolgung durch die Polizei

Auch nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 geht die Verfolgung von schwulen Männern weiter. Der § 175 StGB wurde in unveränderter Form aus dem RStGB der Nazis in das bundesdeutsche Strafgesetzbuch übernommen.

Man nannte sie "die 175er". Nach Schätzungen wurde gegen 100.000 Männer ermittelt, 64.000 hat man verurteilt. Der Paragraf hat Leben zerstört, Existenzen vernichtet.

Quelle: ARD / MDR

Quelle: https://www.blu.fm/gab/szene/der-attentaeter-gedenken-im-hotel-silber/ Schwulst - Sonderausgabe 2010 (Text und Fotos)
https://www.mdr.de/tv/programm/sendung936260.html (Der Schwulenparagraf) 
https://www.ardmediathek.de/video/doku-reportage/der-schwulenparagraf-geschichte-einer-verfolgung/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xMjk3Njg/
https://www.zdf.de/nachrichten/heute/hayali-kommentar-25-jahre-abschaffung-paragraf-175-102.html
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